Deep Sky in der großen Leere

Namibia 2019 - Es wird niemals Routine

Hakos Gästefarm, Namibia, 27.8. - 8.9. 2019

Noch einmal zurück in die "Große Leere". In diesem weiten Bereich südlich der Milchstraße, der sich in den Nächten um diese Jahreszeit, wenn die Milchstraße im Nordwesten untergeht, von Südosten langsam auf den ganzen Himmel ausdehnt, gibt es nicht nur die beiden Magellanschen Wolken als lohnede Ziele, sondern noch mehr.

Natürlich jede Menge Galaxien. Aber anders als beim nördlichen Pendant der "Großen Leere", in dem uns der Virgo Galaxienhaufen Zehntausende Galaxien in der Reichweite mittlerer Fernrohre beschert und viele davon auch durchaus lohnende Ziele für Einzelfotos sind, ist hier im Süden auch in dieser Hinsicht eine große Leere. Ja, es gibt fernere Galaxienhaufen, deren Einzelmitglieder dann natürlich sehr klein und lichtschwach sind. Bekanntestes Beispiel ist wahrscheinlich jener im Chemischen Ofen (Fornax), eines der vielen subtilen und kaum auffälligen Sternbilder am Südhimmel, gelegen in einer Biegung des langen Eridanus.

Doch halt, es gibt eine schöne Galaxiengruppe, ebenfalls in einem kaum auszumachenden Sternbild gelegen, in der Bildhauerwerkstatt (Sculptor), kurz auch Bildhauer genannt. Dieses unscheinbare Sternbild aus vier Sternen vierter bis fünfter Größenklasse liegt südlich vom Walfisch und ist zumindest theoretisch auch von Mitteleuropa aus zu sehen. Hier steht es jetzt in der zweiten Nachthälfte im Zenit.

Hinter den Sternen des Sculptor liegt die gleichnamige Galaxiengruppe, bestehend aus ein paar Dutzend Mitgliedern und eine der nächsten Nachbargruppen zu unserer eigenen Lokalen Gruppe, zu der neben unserer eigenen Milchstraße unter anderem die Andromedagalaxie, die Dreiecksgalaxie und eben auch die beiden Magellanschen Wolken gehören. Dabei ist die Sculptor-Gruppe extrem lose und weist keine so markanten gravitationellen Bindungen auf wie unsere. Zwei der hellen Galaxien, die in der Literatur oft der Sculptor-Gruppe zugeordnet wurden, liegen nach neuesten Untersuchungen im Grenzbereich zwischen Lokaler und Sculptor-Gruppe oder gehören sogar noch zur Lokalen Gruppe.

Die hellsten Galaxien in dieser Region sind NGC 55, 247, 253 und 300. NGC 253 ("Sculptor-Galaxie" oder auch "Silver Dollar") ist ein wahres Prachtstück, die dritthellste Galaxie am Himmel außerhalb der Lokalen Gruppe bzw. die siebenthellste Galaxie am Himmel überhaupt nach LMC, SMC, M31 (Andromeda), M33 (Triangulum), NGC 5128 (Cen A) und M81. Sie ist 11 Mio. Lichtjahre entfernt und in etwa 90.000 Lichtjahre groß, ein kleiner Zwilling unserer Milchstraße. Allerdings handelt es sich um eine Starburst-Galaxie mit extrem heller Kernregion. Wir sehen NGC 253 in einer kantennahen Lage. Visuell beeindruckt NGC 253 auch durch ihre enoreme Winkelausdehnung, die etwa dem Durchmesser des Vollmonds entspricht.

NGC 55 ("Wal-Galaxie") sehen wir ebenfalls von der Kante. Mit "nur" 6,5 Mio. Lichtjahren Entfernung wird sie heute eher der Lokalen als der Sculptor-Gruppe zugerechnet. Auch sie hat eine scheinbare Längsausdehnung, die über den Vollmonddurchmesser hinaus geht. NGC 300 wird mit einer Entfernung von 6 Mio. Lichtjahren auch nicht mehr zur Sculptor-Gruppe gerechnet, sondern unter Umständen zur Lokalen Gruppe. Es ist eine wunderschöne Spiralgalaxie ähnlich Triangulum, 94.000 Lichtjahre groß und damit von der Größe mit unserer Milchstraße vergleichbar. Ein wunderschönes Objekt! Die vierte helle Galaxie, NGC 247 ("Dusty Spiral") liegt im Walfisch südlich von Deneb Kaitos. Mit einer Entfernung von 11 Mio. Lichtjahren gehört sie definitiv zur Sculptor-Gruppe. Sie habe ich heuer nicht aufgenommen.

Die gemeinschaftlich und kosmologisch nicht ganz korrekt als "Sculptor-Galaxien" bezeichneten Objekte sind natürlich Standardziele bei einem Namibia-Aufenthalt um diese Jahreszeit, da sie gegen Mitternacht in Nähe des Zenits kulminieren. Daher stehen sie auch heuer auf meinem Programm, obwohl ich von ihnen in den letzten Jahren schon gute Fotos gemacht habe. Aber heuer soll ja experimentiert werden und für den 12" Deltagraph sind sie definitiv Neuland. Aufgrund ihrer Winkelausdehnung sind sie ideal für den APS-C großen Sensor der ASI 1600MMpro Kamera bei einem Meter Brennweite. Der Sensor hat hier ein Bildfeld von 1,4° x 1°, da passen die Galaxien bei jeder Orientierung der Kamera bequem ins Bild. Bei Galaxien wähle ich LRGB, mit Schmalbandfiltern zu arbeiten macht weniger Sinn (wäre ein spannendes Projekt für die nächsten Jahre, um speziell H II-Gebiete in den Galaxien hervorzuheben).

Die Freude an diesen Objekten ist nicht ungetrübt. Ich kämpfe mit Guiding-Problemen, für die ich zunächst keine Erklärung habe. MGEN hält den Leitstern wunderbar, auch der Wind in den letzten Nächten stellt kein allzu großes Problem dar. Dennoch werden die Sterne im Deltagraph länglich und die Aufnahmen zeigen eine markante Drift. Einzige Erklärung: Die optischen Achsen von Deltagraph und MGEN-Sucher verkippen langsam und stetig gegen einander. So gleichmäßig? Aber es ist die einzige Erklärung. Ich kann jetzt wenig dagegen tun. Gute Zugentlastung aller Kabel lindert das Problem. Da nächste Mal muss ein vernünftigeres Leitrohr her (ja, es liegt im Kasten, sein Einsatz erfordert Umbau und der scheitert an meiner nicht übergroßen Motivation dazu, gebe ich ehrlich zu). Die verwendete Halterung des Suchers (zwei Schrauben und eine Feder vorne, Gummiring hinten) ist fürs Guiden, gelinde gesagt, nicht geeignet. Um nicht zu sagen, ein Sch...s.

Die Guiding-Probleme werden aber sekundär, denn von Nacht zu Nacht wird auch das Seeing schlechter, und dagegen hilft keine Zugentlastung. Während ich belichte und dabei meist vor der Sternwarte auf Walters Terrasse sitze, kommen immer wieder Astrofotografen von der benachbarten IAS vorbei. "Geht bei Dir noch was?", ist meist die Frage. "Geht so, gut ist es nicht", ist meine Antwort. So fehlt leider die letzte Schärfe. Eigentlich sind die Bilder nicht zum Veröffentlichen geeignet, aber meinetwegen ...


Die Sculptor-Galaxie NGC 253. Aufgenommen am 1. September 2019. ASI 1600MMpro an 12" Deltagraph f/3.3. LRGB, je 6 x 300s pro Kanal. Aufnahmeprogramm: APT. Bearbeitung: DeepSkyStacker - Photoshop - ACDSee. (Mit Mausklick vergrößern)


NGC 300. Aufgenommen am 30. August 2019. ASI 1600MMpro an 8" Boren-Simon Astrograph f/4. LRGB, je 5 x 300s pro Kanal. Aufnahmeprogramm: APT. Bearbeitung: DeepSkyStacker - Photoshop - ACDSee. (Mit Mausklick vergrößern)


NGC 55. Aufgenommen am 2. September 2019. ASI 1600MMpro an 12" Deltagraph f/3.3. LRGB, je 4-6 x 300s pro Kanal. Aufnahmeprogramm: APT. Bearbeitung: DeepSkyStacker - Photoshop - ACDSee. (Mit Mausklick vergrößern)

Und dann ist da noch etwas. Mutterseelenallein in der Großen Leere, nicht weit vom hellen Stern Fomalhaut im südlichen Fisch entfernt, steht er da, groß und lichtschwach: Der Hellix-Nebel NGC 7293, seines Zeichens der nächstgelegene Planetarische Nebel und daher der von scheinbaren Durchmesser der größte. Er hat fast die Winkelausdehnung des Vollmonds und das bei einer scheinbaren Helligkeit von 6,5 Größenklassen. Das macht den Nebel natürlich extrem flächenschwach und zu einem der schwierigsten Objekte am Himmel.

Mein Plan ist in etwa, jede Nacht ein bis zwei Stunden zu belichten, in einigen Nächten auch mehr. Als Luminanz wähle ich, wie bei den anderen Nebeln, Hα, dazu kommen die Farben R, G und B. Schwierigkeit: Der Nebel kulminiert zu einer dummen Zeit, so dass ich nicht viele Stunden ohne dabei zu sein belichten kann. Der Nachteil einer deutschen Montierung. Hell wird er ja durch die in Summe sehr lange Belichtungszeit, doch die Schärfe will sich angesichts der Seeingprobleme auch hier nicht einstellen. Damit bleibt dieses Objekt auf der Liste der Hakos-Projekte, was auch in einem der nächsten Aufenthalte hier viele Stunden Belichtungszeit bedeuten wird.


Der Hellix-Nebel NGC 7293. Aufgenommen am 2. bis 5. September 2019. ASI 1600MMpro an 12" Deltagraph f/3.3. HαRGB, je 10 - 20 x 300s pro Kanal. Aufnahmeprogramm: APT. Bearbeitung: DeepSkyStacker - Photoshop - ACDSee. (Mit Mausklick vergrößern)

In einer halben Nacht nach Durchzug von Wolken nehme ich noch ein paar weniger prominente Objekte in dieser Gegend auf.


Der offene Sternhaufen NGC 6774 im Schützen. Aufgenommen am 4. September 2019. ASI 1600MMpro an 12" Deltagraph f/3.3. LRGB, je 10 x 60s pro Kanal. Aufnahmeprogramm: APT. Bearbeitung: DeepSkyStacker - Photoshop - ACDSee. (Mit Mausklick vergrößern)


Der "Totenkopfnebel" NGC 246 im Walfisch, ein planetarischer Nebel. Aufgenommen am 4. September 2019. ASI 1600MMpro an 12" Deltagraph f/3.3. LRGB, je 5 x 180s pro Kanal. Aufnahmeprogramm: APT. Bearbeitung: DeepSkyStacker - Photoshop - ACDSee. (Mit Mausklick vergrößern)

Während der Aufnahmeserien, das müde Auge wandert durch die "Große Leere" und versucht, die meist unauffälligen Sternbilder zu identifizieren, erblicken wir kurze, helle Lichtblitze. Was zum ... ? Immer wieder. Ein Flugzeug? Müsste sehr hoch fliegen, kann ja sein, irgendwas militärisches. Aber die Blitze bleiben in der gleichen Himmelsregion im Grenzbereich Fische - Wassermann. Kreist dort oben etwas? Ist es tiefer? Eine Drohne? Erstaunlicher Weise tritt das Phänomen jede Nacht zur gleichen Zeit auf, etwa zwischen 1.30 und 2.30 Uhr Ortszeit.

Allmählich kommt mir eine Vermutung, die zur plausiblen Theorie wird: Ein Cluster geostationärer Satelliten, die Flares produzieren, weil sie rotieren. Vielleicht ausgemusterte Objekte, die außer Kontrolle geraten sind. 36.000km über uns liegen sie schon wieder im Sonnenlicht um diese Zeit, so dass Teile von ihnen reflektieren. Ich versuche ein Foto, scheitere aber daran, die Blitze sind zu kurz. Mit dem Star Adventurer könnte was gehen, aber gut, es ist spät.

Fazit dieser Nächte: Gegen das Seeing kann man nichts machen, ist halt so. Das Guiding-Problem kann nur durch ein besseres, stabileres Leitrohr gelöst werden. Ist vorhanden, wird nächstes Mal montiert (2020 kommen mindestens vier Teams von uns hierher, vielleicht macht es ja schon jemand vor mir). Und der Hellix-Nebel ist ein sehr schweres Objekt, das mich seit Jahren beschäftigt und langsam zu ärgern beginnt. Genug Gründe, um die nächste Reise zu planen, was bis zum Ende dieses Aufenthalts erfolgte und auch schon bestellt wurde. Denn aufgeben tun wir nur einen Brief ...

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